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Projektabbruch: Alles zu seiner Zeit

Projektabbruch: Alles zu seiner Zeit
Herausforderung Projektabbruch

Projektleitende lieben es, Erfolge zu präsentieren. Doch die Nachricht über einen Projektabbruch gehört wohl eher nicht dazu. Denn oft ist sie mit einer negativen Botschaft verbunden, nachdem Projektleiter und Team viel Energie in die Projektarbeit investiert haben.

Es scheint, dass der Projektabbruch eine unangenehme Herausforderung für alle Beteiligten darstellt. Warum eigentlich?

Dieser Beitrag nimmt Ihnen den Schrecken vor dem unerwarteten Beenden eines Projektes.

Ende gut, alles gut?

Verdutzt schauten die Mitglieder des Projektteams in ihre Laptopkamera. „Projektabbruch? Ein Scherz, oder? Jetzt, kurz vor dem Ziel?“ Gerade eröffnete der Projektleiter das Jour fixe per Zoom: „Nein, kein Scherz. Der Auftraggeber bricht das Projekt ab“, informierte er die Kollegen an den Bildschirmen. Dann fügte er hinzu: „Unglaublich. Mir fehlen die Worte.“

Noch im letzten Treffen hatten sie über Friendly-User-Tests gesprochen, die letzten Überprüfungen mit einem kleinen Kreis echter Nutzer im Live-Betrieb. Ihr Plan war, das neue Produkt noch vor Weihnachten scharf zu schalten. Das würde jetzt wohl nichts mehr werden.

Mühsam waren sie Schritt für Schritt vorangekommen, denn sie mussten ihre Zusammenarbeit komplett neu organisieren. Berufliches Reisen war verboten, persönliche Treffen mit hohen Auflagen verbunden. Sie suchten nach Lösungen und fanden sie unter anderem hier:
 

  • virtuelle Jours fixes und Workshops mit Zoom-Videokonferenzen
  • Austausch von Informationen auf digitalen Whiteboards und Einsammeln von Feedback mit Miro Boards
  • transparente Abstimmung in Entscheidungssituationen mit Mentimeter
  • Spaß und Teambildung in virtuellen Escape Rooms, bei Gin-Verkostungen und auf Online-Konzerten

Das Team hatte sein New Normal, das heißt seine eigene Art und Weise der Zusammenarbeit, gefunden. Und nun das. Dem Projektleiter bot sich ein Trauerspiel, als er die Kollegen auf seinem Monitor beobachtete. „Wer weiß, was dahintersteckt“, dachte er laut. „Ich schlage vor, den Auftraggeber in das nächste Jour fixe einzuladen. Nur so bekommen wir Informationen aus erster Hand.“ Nach kurzer Diskussion schloss er das Meeting, mehr war ja auch nicht zu sagen. Heute jedenfalls würde er niemanden motivieren können, neue Aufgaben zu übernehmen. Zu tief saß der Frust.

Am folgenden Meeting nahm auch der Auftraggeber teil. „Die Entscheidung ist uns schwergefallen. Glauben Sie mir das bitte“, warb er. „Aber es gab triftige Gründe.“ Ein Tester aus dem Projektteam platzte dazwischen: „Welche denn?“ Der Auftraggeber schien derart rhetorischen Gegenwind erwartet zu haben. Er ließ sich nicht aus der Fassung bringen: „Die Kundenzahlen werden sich nicht so entwickeln wie gedacht. Der Lockdown macht uns zu schaffen. Außerdem haben wir die Zusammenarbeit mit der A-XYZ GmbH beendet. Sie ist in einem Insolvenzverfahren.“

Fragen schwirrten durch den virtuellen Konferenzraum. Der Auftraggeber hatte Verständnis für den Unmut des Projektteams, doch er machte deutlich, dass der Projektabbruch eine wirtschaftlich richtige Entscheidung ist. Es schien, als würde sich die anfänglich aggressive Stimmung mit jedem Stück Transparenz auflösen. Abschließend gab der Auftraggeber einen Ausblick auf die Produkt-Roadmap des Unternehmens. Es gab genug zu tun.
 

Projektabbruch versus Projektabschluss

Unter normalen Bedingungen gilt: Ist das Projektziel erreicht, kann das Projekt formal geschlossen werden. Im PMBOK Guide 6th Edition sind die Aufgaben klar beschrieben. Doch ein Projektabbruch kommt unverhofft. Er lässt sich schlecht planen. Oft sind Auftraggeber sowie wenige Stakeholder involviert. Für den Rest der Mannschaft kommt der Abbruch überraschend. Was tun?

Wie beim Projektabschluss steht der geordnete Rückzug im Vordergrund. Es gilt, das Hinterlassen einer kontaminierten Projektlandschaft zu vermeiden. Die Gefahr ist groß, denn irgendwie klebt an einem abgebrochenen Projekt der Misserfolg. Niemand will mit diesem in Verbindung gebracht werden. Diese Fragen sind unter anderem zu beantworten:
 

  • An welcher Stelle stehen wir hinsichtlich Ressourcen, Ergebnissen und Leistungen?
  • Welcher verbliebene Leistungsumfang muss abgesagt werden?
  • Welche Arbeitspakete müssen geschlossen werden?
  • Welche (unvollständigen) Liefergestände müssen zurückgerufen werden?
  • Welche Konfigurationen an Soft- und Hardware müssen bereinigt werden?

Wann ist es sinnvoll, ein Projekt abzubrechen?

Der Projektabbruch kann eine sinnvolle Option sein. Aber unter welchen Bedingungen wäre dieses Vorgehen ein geschicktes Vorgehen?
 

  • Eine grundlegende Frage bei der Entscheidung, ein Projekt abzubrechen oder nicht, ist der Umgang mit Risiken. Ein aktives Risikomanagement deckt Situationen auf, die rechtzeitig an einflussreiche Stakeholder kommuniziert werden können. Das dient der Transparenz und schützt vor falschen Erwartungen. Aus Sicht des Risikomanagements ist der Abbruch die letzte Option und erfordert keine weiteren Maßnahmen.
  • Die enge Zusammenarbeit mit dem Projektcontrolling liefert wertvolle Kennzahlen. Abweichungen von Plan-Istwerten (z. B. Kosten, Zeit, Anzahl Änderungen) zeigen eindrucksvoll, ob ein Fortführen der Projektarbeit sinnvoll ist oder nicht.
  • ungelöste Konflikte im Projektteam, neue wichtige und einflussreiche Stakeholder oder geänderte Rahmenbedingungen
  • Das Projekt erhält durch die Unternehmensleitung eine andere Priorisierung.
  • Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich geändert. Der Liefergegenstand des Projektes erfährt öffentlichen Widerstand.
  • Pauschale Regeln aufzustellen, wann der Abbruch sinnvoll ist und wann nicht, ist schwierig, denn jedes Projekt ist einzigartig.

Wie gehe ich am besten vor?

  • Kommunizieren und Aufklären stehen an erster Stelle. Offene Kommunikation und Transparenz verhindern das Hinterlassen von verbrannter Erde. Natürlich wird es wichtige und einflussreiche Stakeholder geben, die mit der geplanten Vorgehensweise nicht einverstanden sind. Sie werden die Argumente hinterfragen und versuchen, die Situation zu entschärfen. Möglicherweise machen sie sich für die Fortführung des Projektes stark. In diesen Fällen sind Auftraggeber und Projektleiter gut beraten, wenn sie auf eine seriöse Daten- und Faktenlage zurückgreifen können.
  • Unerlässlich ist eine grafische Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile der geplanten Vorgehensweise. Idealerweise bereitet der Projektleiter aussagekräftige Folien mit wirtschaftlichen, technologischen oder prozessualen Fakten vor. Sie sind eine wertvolle Basis für die Überzeugungsarbeit. Doch für einige Beteiligte kann die Entscheidung, ein Projekt nicht weiterzuführen, dramatisch sein. Deshalb ist es wichtig, in jeder Situation wertschätzend zu kommunizieren.
  • Grundsätzlich sind die Tätigkeiten, beschrieben im PMBOK im Wissensgebiet „Integrationsmanagement in Projekten“ im Prozess „4.7 Projekt oder Phase abschließen“ relevant. Dazu gehören unter anderem: Abschlussmeeting organisieren und Ergebnisse protokollieren.
    Abschließende Informationen über Meilensteine, Budget, Manntage, Wirtschaftlichkeit – kurz alles, was für die Realisierung des Liefergegenstandes benötigt wurde – zusammentragen. Risiken reflektieren und Gegenmaßnahmen festhalten. Alle bestehenden Verträge beenden, Lessons Learned gemeinsam mit dem Team dokumentieren. Alle relevanten Projektdokumente auf Vollständigkeit überprüfen und ablegen.


Abschließend möchte ich eine persönliche Meinung äußern. Für mich ist der Projektabbruch eine besondere Form des Scheiterns – aber nicht im negativen Sinne, birgt doch das Scheitern jede Menge Lernstoff. Wenn es Ihnen möglich ist, über das Scheitern zu reden, und wenn es die Rahmenbedingungen (keine Verschwiegenheitspflicht oder ähnliches) zulassen, Erfahrungen über den Abbruch auszutauschen, nutzen Sie diese wertvolle Lernquelle! Mutige Projektleiter teilen ihre Erfahrungen in einer (unternehmensinternen) FuckUp-Night-Veranstaltung.
 

Über den Autor

Werner Plewa
Projektmanager

Experte für berufliche Weiterbildung und Personalentwicklung. Kontaktanfrage gerne auch bei LinkedIn:


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