Welche Projektmanagement-Software soll ich für mein Projekt wählen? Welche Zertifizierung ist für mich die richtige? Soll ich eine Eigentumswohnung oder ein Haus kaufen oder zur Miete wohnen?
Ob im beruflichen Alltag oder im privaten Leben – Sie müssen sich entscheiden. Aber wie können Sie rational entscheiden, wenn es zu viele Möglichkeiten gibt oder wenn der Bauch etwas anderes fühlt, als der Kopf akzeptiert?
Die Nutzwertanalyse ist eine einfache Methode, mit der Sie unterschiedliche Kriterien beurteilen, um diese zu einem einzigen Wert zusammenzufassen. Wie Sie die Nutzwertanalyse für Ihre Projektarbeit nutzen, lesen Sie in diesem Beitrag.
Wie treffen Sie eine passende Entscheidung?
Paul Kümmerer lenkte die schwarze Limousine auf den rechten Streifen der vierspurigen Autobahn, um sich in die endlose Reihe fahrender polnischer, deutscher und niederländischer Lastkraftwagen einzufädeln.
Der Geschäftsführer eines Maschinen- und Anlagenunternehmens drosselte das Tempo, denn er nahm an einer Telefonkonferenz teil, in der das Vorgehen für die Auswahl einer leistungsfähigeren Projektmanagement-Software diskutiert wurde.
Heute wollten sie die nächsten Schritte organisieren. „Wir brauchen eine transparente Ressourcenplanung“, forderte ein Projektmanager am Telefon.
„Das neue System muss in die bestehende IT-Landschaft integrierbar sein“, fügte einer der technischen Abteilungsleiter hinzu. Dann folgte eine Reihe weiterer Anforderungen: kostengünstiges Lizensierungsmodell, revisionssichere Dokumentenverwaltung, transparente Kosten- und Meilensteinplanung, Handling von Key-Performance-Indikatoren, Statusreports, Rollenmodell, Darstellung in Balkendiagrammen und vieles andere mehr.
Kümmerers Finger trommelten auf dem Lenkrad. Er empfand alle Kriterien als wertvoll, und doch schien es ihm, als würden sie ihm unter ihrer Masse begraben. Sie müssen sich entscheiden.
Doch wie und für welchen Anbieter? „Wir wählen das System mit dem größten Nutzen“, beschloss Kümmerer. Am Schluss der Telefonkonferenz bat er seine Sekretärin einen Termin in der Zentrale zu organisieren, um die Entscheidung professionell vorzubereiten.
Merkmale der Nutzwertanalyse
- Die Nutzwertanalyse ist ein Verfahren, welches unterschiedliche Auswahlkriterien (auch die sprichwörtlichen Äpfel und Birnen) vergleichbar macht.
- Die Auswahlkriterien, auch die weichen Faktoren wie Gefühl, Erfahrung oder Zusammenarbeit, werden als Messwerte dargestellt und zu einer einzigen Zahl konsolidiert.
- Damit erhält jede Entscheidungsoption eine Kennzahl, die sich aus verschiedenen Perspektiven zusammensetzt. Jedoch auch Symbole wie Harvey Balls, Plus- und Minuszeichen sowie Daumen hoch, runter oder waagerecht sind üblich.
- Die Auswahlkriterien leiten sich von den Zielen des Unternehmens, des Projektes oder des Anwenders ab, der die Methode für die Entscheidungsfindung nutzt. Deshalb sollten nur die wichtigsten Kriterien in die Nutzwertanalyse einfließen.
- Ausschlusskriterien haben in der Nutzwertanalyse keinen Platz.
- Die Nutzwertanalyse prognostiziert einen Nutzwert, doch ob dieser tatsächlich eintritt, wird sich erst später zeigen.
- Die Nutzwertanalyse findet im privaten Leben vielfach Anwendung - nur wird sie dort nicht als solche bezeichnet. Beispiele: Castingshows, Listen der Stiftung Warentest, Fachzeitschriften mit Verbraucherempfehlungen.
Wie wenden Sie die Nutzwertanalyse an?
Die zu bearbeitenden Schritte der Nutzwertanalyse sind einfach – die Außenwirkung beeindruckend.
1. Entscheidungsrahmen verkleinern
Zunächst sind unter der Vielzahl der Möglichkeiten diejenigen auszusortieren, die die Muss-Kriterien nicht erfüllen. Damit scheidet ein Großteil von Alternativen sofort aus, sodass sich die Teilnehmer auf die wenigen wichtigen konzentrieren können und Ressourcen schonen.
2. Kriterien auswählen
Im nächsten Schritt der Nutzwertanalyse suchen Projektleiter, Team, Stakeholder und Fachexperten nach passenden Kriterien. Diese müssen unabhängig voneinander und überschneidungsfrei sein.
3. Kriterien wichten
Entscheidungskriterien der Nutzwertanalyse können unterschiedliche Ausprägungen besitzen, manche sind nur schwer messbar andere gar nicht. Deshalb ist es notwendig, deren Bewertung in eine einheitliche Dimension, die Wichtung, zu transformieren. Die Summe der Wichtungen muss 100 Prozent ergeben.
4. Kriterien bewerten
Den Kriterien werden Nutzungspunkte auf der Skala eins bis drei zugeordnet. Der Anwender kann auch eine andere Skalierung wählen.
5. Kennziffer ermitteln
Abschließend werden Wichtung und Nutzungspunkte zusammengerechnet.
Beispiel: Auswahl einer Projektmanagement-Software
Nutzwertanalyse: Tabelle mit Ergebnis
Welchen Nutzen bietet Ihnen die Nutzwertanalyse?
- Die Nutzwertanalyse hilft, Fehlentscheidungen zu minimieren und damit Kosten und Zeit zu sparen sowie Risiken zu vermeiden.
- Die Nutzwertanalyse ist universell einsetzbar, um Investitionen zu bewerten, Projekte aus einem Portfolio auszuwählen oder Produkte oder Lieferanten. Kurz: Das Verfahren liefert überall dort Mehrwert, wo aufgrund einer komplexen Situation transparente und nachhaltige Entscheidungen gefragt sind.
- Die Stärke der Methode liegt darin, unterschiedliche Komponenten in die Berechnung einfließen zu lassen, obwohl sie eigentlich nicht vergleichbar sind. Durch die Gewichtung werden diese in eine einheitliche Dimension überführt.
- Der Vergleich der Bewertungszahl jeder Entscheidungsoption signalisiert Berechenbarkeit, Seriosität und Nachhaltigkeit.
- Im beruflichen Umfeld ist es unüblich, Entscheidungen mit großen Auswirkungen auf reiner Gefühlslage zu treffen. Doch oft sind die Zusammenhänge zu komplex, um sie in eine Rechnung zu pressen, sodass letztlich doch mit dem Bauch entschieden wird. Die Nutzwertanalyse hilft, die gefühlte Auswahl mit messbaren Ergebnissen zu untermauern. Werte und Nutzenzahlen lassen sich eben rationaler begründen als die Argumente der inneren Stimme.
Nachteile der Nutzwertanalyse
- Der große Vorteil der Nutzwertanalyse ist die starke Vereinfachung, welche jedoch fehleranfällig ist. Aber wenn alle Beteiligten diesen Umstand kennen und akzeptieren, erfüllt die Methode ihren Zweck.
- Wenn das Ziel ein unscharfes, unvollständiges oder falsches Koordinatensystem konstruiert, sind die Auswahlkriterien unbrauchbar.
- Der aus Wichtung und Punktesystem errechnete Nutzwert täuscht eine tückische Scheingenauigkeit vor. Beide Parameter sind von der Schätzqualität der Akteure abhängig.
Drei Tipps für den Projektleiter
- Berücksichtigen Sie, dass sich im Laufe der Zeit Unternehmens- und Projektziele ändern können, sodass bei einer erneuten Auswahl Kriterien ergänzt oder entfernt werden müssten.
- Die Bewertung der Kriterien sollte unbedingt durch Fachleute erfolgen. Trotzdem unterliegt die Nutzwertanalyse immer starkem subjektivem Einfluss. Sie könnten diesen Umstand entschärfen, wenn Sie von mehreren Experten Schätzungen einholen.
- Sorgen Sie dafür, dass die Auswahlkriterien unabhängig und überschneidungsfrei sind, damit sich das Bewertungsbild nicht verschiebt und der Nutzwert Schlagseite bekommt.
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Über den Autor
Werner Plewa
Projektmanager, Experte für berufliche Weiterbildung und Personalentwicklung. Kontaktanfrage gerne auch bei XING: