Authentisch als Führungskraft: die wirkliche Bedeutung
Die „authentische Führungskraft“ liegt im Trend - auch im Projektmanagement (der Projektleiter ist Führungskraft auf Zeit). Was aber heißt das: Ist Emotionalität im Beruf nicht unangemessen? Über ein großes Missverständnis.
Missverständnis 1: Launische Führungskräfte sind launisch, nicht authentisch
Der Ruf nach mehr Authentizität birgt ein verführerisches Versprechen: Endlich „ich“ sein können.
Endlich das Korsett aus Konventionen und Rücksichtnahmen ablegen. Ungeschminkt zur eigenen Meinung stehen, zu Ängsten und Befürchtungen. Verwicklungen und Verstrickungen hinter sich lassen und sich sagen können: „Altmodisch dürfen andere sein: Ich bin eine moderne, authentische Führungskraft.“
Die Vision ist viel zu schön, um wahr zu sein. Jede halbwegs vernünftige Führungskraft bzw. Projektleiter lehnt dieses Vorbild ab, mit gutem Grund: Authentizität mit Launenhaftigkeit zu übersetzen, hat zur Folge
- nicht ernst genommen zu werden,
- die Mitarbeiter zu verunsichern und
- sich den Karriereweg zu verbauen.
Wer will schon mit weinerlichen, unkontrollierten Führungskräften zu tun haben?
Je unsicherer, flexibler und veränderlicher die Umwelt ist, desto mehr suchen Mitarbeiter Orientierung - und zwar bei ihrer Führungskraft.
Was aber bedeutet dann Authentizität: Stehen sie und die vom laufenden Change gebeutelte Arbeitswelt im Widerspruch?
Missverständnis 2: Emotionen bringen Führungskräfte in Bedrängnis
„Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“ So haben es vor allem die Jungen und viele Mädchen gelernt.
Je älter die Kinder geworden sind, je höher sie auf der Karriereleiter empor gestiegen sind, umso geschickter sind sie geworden, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten und sich nicht in die Karten gucken zu lassen.
Sie sind weit damit gekommen, doch jetzt zeigt sich ein Problem: Ihre Mitarbeiter denken nicht im Traum daran, sich für sie ein Bein auszureißen. Dabei sind sie doch immer gleichmäßig freundlich – denken sie.
Die Fähigkeit, die Emotionen unter vollständiger Kontrolle zu halten, macht sich irgendwann selbständig. Aus der erlernten Fähigkeit wird eine Unfähigkeit: Die Unfähigkeit, Emotionen überhaupt wahrzunehmen.
So kommt es, dass Führungskräfte und Projektmanager morgens ins Büro kommen und ein gut gelauntes „guten Morgen“ in die Runde werfen - während sie im Kopf schon bei den vielen unangenehmen Gesprächen sind, die sie im Laufe des Tages erwarten.
Irgendwo tief innen habe sich ungute Gefühle breit gemacht - für die Führungskräfte unbemerkt: Ihre Mundwinkel zeigen nach oben, die Augen sprechen von Sorge und das Lächeln verrutscht. Die Mitarbeiter wissen: Der Gruß war nicht echt. Wirkliche Freundlichkeit sieht anders aus und fühlt sich anders an. So viel Kontrolle wirkt unnahbar. Für eine solche Eismaschine setzt sich keiner ein.
Authentizität beginnt damit, sich der Emotionen bewusst zu werden
Deshalb sind Emotionen nicht etwa eine Gefahr, sondern das, was den Menschen lebendig macht und ihn mit den anderen verbindet. Viele Führungskräfte müssen wieder lernen, ihre Emotionen wahrzunehmen, damit sie Zugang zu ihren Mitarbeitern finden. Damit sie als Menschen ankommen.
Emotionen wahrzunehmen, heißt nicht, sie schrankenlos auszuleben. Sich seiner Emotionen bewusst zu sein, schafft Entscheidungsfreiheit: Die Freiheit, darüber zu entscheiden, wie die Führungskraft mit ihren Emotionen umgehen will - sich zurück ziehen, sich einen Gesprächspartner zu suchen, sich intensiver auf die unangenehmen Gespräche vorzubereiten oder zum Sport zu gehen, um den Ärger abzubauen.
Authentizität bedeutet, sich der eigenen Emotionen bewusst zu sein und bewusst zu handeln.
Authentizität bedeutet nicht, jeder Laune nachzugeben.
Übrigens: Emotionen zuzulassen, heißt nicht nur, sich den unangenehmen Gefühlen zu stellen. Allzu viel Kontrolle versperrt ebenso den Weg zu den angenehmen Gefühlen. Emotionen machen in jeder Richtung lebendiger.
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