Wie entsteht Führungs-Kraft?
Bausteine für eine nachhaltige Führungskräfteentwicklung.
Autorin: Katja Ischebeck, Leadership-Expertin, Management-Trainerin bei KAYENTA-Training und Beratung
Damit Führung gelingt, sind viele Bausteine notwendig – von den Gesprächstechniken bis zum Selbstmanagement. Jeder einzelne Baustein ist unerlässlich. Weil aber die Führungsfrage nur selten so komplex diskutiert wird, sind in den Unternehmen Szenarien wie diese an der Tagesordnung:
Stefan Schneider arbeitet seit fünf Jahren in der IT-Abteilung eines Mittelständlers. Man schätzt ihn für seine Analysefähigkeit und seine fachlich hervorragende Arbeit. Mit der Zeit hat er sich zum besten Mitarbeiter seiner Abteilung entwickelt. Als sein direkter Vorgesetzter in den Ruhestand geht, wird er befördert. Seither läuft es im Team nicht mehr rund. Schneider geht wie gewohnt seinen Projekten nach. Die Steuerung der Abteilung und die Mitarbeiterführung bleiben auf der Strecke.
Im Gespräch mit dem Vorgesetzten wird deutlich, dass Schneider zu wenig über Mitarbeitergespräche, Zielvereinbarungen, Steuerung von Meetings und anderen Führungstechniken weiß. Ihm wird ein Training bewilligt, das genau diese Kompetenzen schult. Nach einer Woche intensiven Trainings kommt er mit guten Vorsätzen zurück. Und – es ändert sich nichts. Obwohl Schneider über die notwendigen Kompetenzen verfügt, unterlässt er die Gespräche mit den Mitarbeitern und übernimmt Aufgaben lieber selbst als sie zu delegieren.
Es folgt ein weiteres Gespräch mit dem Vorgesetzten. Dieser überzeugt ihn von der Bedeutung der Führungsarbeit und von der Dringlichkeit einer Verhaltensänderung. Schneider hat zusätzlich zu den Kompetenzen nun auch noch die richtige Überzeugung gewonnen – aber noch immer ist keine Verhaltensänderung in Sicht.
Er wird zu einem dritten Termin bestellt. Wie sich herausstellt, spricht er von Führungskräften noch immer als denen “da oben”. Er fühlt sich nach wie vor als Kollege unter Kollegen. Seine Rolle als Führungskraft hat er also bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht angenommen. Von Anfang an hat die Identifikation mit seiner neuen Aufgabe gefehlt.
Sie schmunzeln? Das ist ein ganz typisches Phänomen.
Flut von Methoden, Ansätze und Theorien mit verengtem Fokus
Der Markt für Führungskräftetrainings gleicht einem orientalischen Basar. Von der Transaktionsanalyse über die systemische Therapie, die Verhaltenstherapie und psychoanalytische Ansätze bis hin zur Gestaltberatung existieren die unterschiedlichsten Ansätze, Theorien und Interventionsmethoden. Ihnen gemeinsam ist, dass sie je einen Aspekt menschlichen Verhaltens in den Mittelpunkt stellen. Damit reduzieren sie zwar die Komplexität, aber sie werden der Wirklichkeit nicht mehr gerecht.
Wissenschaftliche Untersuchungen über die Wirksamkeit gibt es wenige. Umso emotionaler verläuft die Debatte über den richtigen Weg. Viele Trainer und Coachs verschreiben sich einer Richtung, weshalb Trainings und Coachings häufig einseitig geraten. Die einen behandeln das Fachwissen, andere betonen die Verhaltensebene, dritte bewegen sich in den höheren Sphären der Sinn- und Identitätsfrage. Die Trainingsergebnisse erweisen sich dementsprechend wenig befriedigend: Teilnehmer, die im Fachwissen geschult sind, entwickeln sich theoretisch zu wahren Führungsexperten.
Praktisch können sie ihr Wissen kaum anwenden, geschweige denn ein Mitarbeitergespräch führen. Kollegen, die ein Führungskräftetraining der „höheren Art“ besucht haben, sind äußert reflektiert und haben eingehend über ihre Visionen und ihre Rolle im Unternehmen und in der Welt nachgedacht, aber es fehlt ihnen das Handwerkszeug, diese Ideen in die Tat umzusetzen. Die Beispiele sind zugespitzt formuliert, aber keinesfalls abwegig. Der Markt bietet genau solche Trainings an. Den Teilnehmern und den Trainingszielen werden sie nicht gerecht.
Voraussetzungen für eine nachhaltige Führungskräfteentwicklung
Was fehlt, ist eine Systematik, um den Trainingsbedarf einer Führungskraft festzustellen. Ein solches Modell ist das Modell der logischen Ebenen von Robert Dilts. Die von ihm beschriebenen Ebenen helfen zu klären, wo Veränderungen nötig sind und die Arbeit ansetzen sollte.
Die Tabelle fasst die zentralen Aspekte des Modells zusammen. Die erste Spalte benennt die Ebenen, die zweite die Frage, die den Kern der Ebene beschreibt, und die dritte Spalte die Bezugsgröße.
Ebenen | Kernfragen | Bezugsgröße | |
---|---|---|---|
VI. Vision / Sinn | Wozu? | Lebensziel / berufliches Ziel. Was ist meine Aufgabe? Was will ich erreichen? | |
V. Identität | Wer? | Person / Rolle: Wer bin ich? Welche Rolle nehme ich ein? | |
IV. Überzeugungen | Warum? | Motivation / Erlaubnis / Einstellungen / Werte: Was treibt mich an? Was darf ich? Weshalb tue ich etwas? | |
III. Fähigkeiten | Wie? | Wie fange ich eine Aufgabe an? Welches Handwerkszeug steht mir zur Verfügung? Aktion: | |
II. Verhalten | Was? | Wie reagiere ich? Wie gehe ich mit positiven oder negativen Impulsen um? Mit Forderungen, Lob und Kritik? Reaktion: | |
I. Umgebung | Wo? Wann? | Welchen Handlungsrahmen stellt meine Umgebung? |
Änderungen auf den höheren Ebenen ermöglichen Änderungen auf den unteren Ebenen. Eine Führungskraft, die ihre Rolle voll und ganz annimmt und sich ihrer Verantwortung stellt, wird für die Ergebnisse ihres Teams Sorge tragen.
Die Identität und die Überzeugungen beeinflussen das Verhalten. Der umgekehrte Fall gilt auch, jedoch nicht zwingend: Wer seine Kompetenzen erweitert, erlebt meist auch Erfolge und ändert sein Selbstbild. Schneider hingegen hat mit seinem Training seine Kompetenzen erweitert, jedoch keine Identität als Führungskraft gewonnen. Wäre von Beginn an seine Identität als Führungskraft gut ausgebildet gewesen, dann hätte er schneller die notwendigen Fähigkeiten entwickelt.
Die Ebenen beeinflussen sich also wechselseitig – von oben nach unten nachhaltiger als umgekehrt. Für die erfolgreiche Führungskräfteentwicklung ist es demnach hilfreich, alle Ebenen des Verhaltens zu beachten. Wenn ein Satz fällt wie “Ich kann das jetzt / hier nicht machen!”, dann können alle fünf Ebenen gemeint sein. Die Tabelle zeigt, welche Satzteile für welche Ebenen stehen:
Ich | kann | das / jetzt / hier | nicht (können) | machen | |||
---|---|---|---|---|---|---|---|
V | III | I | IV | II | |||
Identität | Fähigkeit | Kontext | Überzeugungen | Verhalten |
Nur wenn alle Ebenen miteinander im Einklang stehen, werden die Kräfte gebündelt und können gemeinsam wirksam werden. So entsteht Führungs-Kraft und die Führungskraft wirkt kongruent und authentisch. Stehen die Ebenen im Widerspruch, dann gibt sie ein ambivalentes, unglaubwürdiges Bild ab, zum Beispiel so: Die Führungskraft hat gelernt, dass sie ihre Mitarbeiter fragen und sie zu Vorschlägen ermuntern soll. Tief im Inneren ist sie aber ein autoritärer Charakter. Ihre Kommunikation wird im besten Fall wirkungslos und im schlechtesten Fall mehrdeutig sein: Mit Worten fordert sie ihre Mitarbeiter zwar zur Beteiligung auf. Die körpersprachlichen Signale zeigen aber genau das Gegenteil an. Unbewusst schüttelt sie mit dem Kopf. Ihre Haltung drückt Ablehnung aus und sie hört nicht wirklich zu.
Willentlich steuern lässt sich die nonverbale Kommunikation kaum, dabei macht sie den größten Teil der Kommunikation aus. Überzeugungen, Identität und persönliche Visionen wirken sich direkt aus. Die Inkongruenz zwischen dem gesprochenen Wort und dem körpersprachlichen Verhalten bedeutet für die Mitarbeiter, dass sie ihre Führungskraft als widersprüchlich erleben. Die Ambivalenz überträgt sich auf das Team. Es weiß nicht, was es tun soll. Konflikte sind somit vorprogrammiert.
Durch die Verankerung von Maßnahmen auf mehreren Ebenen wird die angestrebte Veränderung tiefer, kongruenter und vernetzter angelegt. Führungs-Kraft wird zur Team-Kraft. Zugleich wird der Transfer der Trainingsinhalte in den Alltag gesichert. Nur so sind Weiterbildungsmaßnahmen nachhaltig und zahlen sich aus.
Über den Autor
Experte für berufliche Weiterbildung und Personalentwicklung. Kontaktanfrage gerne auch bei LinkedIn: