Neue Führungskräfte: Stark mit leisen Tönen

Gute Nachrichten für alle, die mit einer lautstarken Selbst-PR schon immer haderten: Der Wind scheint sich zu drehen. War in den letzten Jahre der auffällige Selbstdarsteller tonangebend, gewinnen nach und nach die Leisetreter eine Lobby.
Introvertierte und andere Leisetreter werden zum Thema
Gleich zu Beginn des Jahres ist das Buch “Leise Menschen, starke Wirkung” von Silke Löhken bei Gabal erschienen. Offenbar sieht der Verlag einen Markt, sprich: einen Bedarf für das Thema. Auch Gudrun Happich bekennt sich zu ihrem Herzen für den leistungsbereiten Führungstypen ohne Star-Allüren. In ihrem Leistungsträger-Blog schreibt sie regelmäßig über das Arbeiten und Wirken ihrer Klientel. Soeben hat das Weiterbildungsmagazin “managerSeminare” den zurückhaltenden Menschen einen 5-seitigen Artikel gewidmet (managerSeminare Heft 169, April 2012). Endlich, möchte man rufen, denn bisher galten die Introvertierten als irgendwie mangel-behaftet – dabei sprechen wir von 50 Prozent der Menschen.
Vier Häuptlinge sind kein Team
Wie die Extroversion derart zum Ideal werden konnte, sollen andere analysieren. In der Team-Theorie jedenfalls weiß man schon lange, dass sich in guten Teams verschiedene Persönlichkeitstypen mischen. Gebraucht werden zum Beispiel der Macher, der Analytiker, der Beziehungsorientierte und der beständige Arbeiter. Nie hat man davon gehört, dass ein Team mit lauter Häuptlingen optimal besetzt ist.
Noch nicht einmal für Führungskräfte lässt sich behaupten, dass Extroversion Voraussetzung für den Erfolg ist. Die Forschung konnte bisher keinen Zusammenhang zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Führungserfolg nachweisen. Jeder Persönlichkeitstyp hat seine Stärken. Jeder birgt das Potenzial für den Erfolg.
Nach meinem Eindruck kommen zwei Dinge zusammen: Die Menschen sind der Luftblasen und der lauten Sprüche überdrüssig. Im Zuge dessen treten die Vorzüge der Introvertierten wieder mehr in den Vordergrund.
Dazu passt ein Artikel in der “Zeit”: “Nur zu schwach?” titelte das Meinungsbildungsblatt in einem Bericht über die geringe Durchsetzungsstärke der 35-40-jährigen Politiker gegenüber der Generation 50+. Die Jungen hätten einfach keine Lust auf Machtspiele auf Kosten anderer, hieß es. Sie änderten das Land auf eine neue Art – und das gelte nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft. Introversion mag man den jungen Politikern deshalb nicht gleich unterstellen. Aber andere Ideale scheinen sich doch anzubahnen.
Ein gute, der Persönlichkeit angemessene Selbst-PR wird auch in Zukunft die Karriere befördern und bleibt deshalb empfehlenswert. Aber nach und nach finden die Leisetreter und ihre Stärken in den Medien Gehör – und damit Anerkennung. Freuen wir uns also über die wieder erlaubte Vielfalt.
Über den Autor
Experte für berufliche Weiterbildung und Personalentwicklung. Kontaktanfrage gerne auch bei LinkedIn: