Selbstführung lernen: Nichts für Weicheier
Von Ronald Hanisch, der Projekt-Doktor
Der kleine Konferenzraum war völlig überfüllt. Es war eine meiner ersten Projekt-Präsentationen. Vor mir saßen rund ein Dutzend Teammitglieder und die gesammelte Führungs-Crew des Unternehmens.
Ich genoss die geballte Aufmerksamkeit und referierte nicht ohne Stolz über die Effizienzvorteile eines Automatisierungsprojektes in der Fertigung. Zunächst lief alles reibungslos.
Dann aber sah ich diesen Typen, irgendein mir noch unbekannter Kollege. Er stand aufreizend lässig im Türrahmen und grinste. „Wer ist der Idiot?“, dachte ich und begann zu stottern. Der Typ mit seiner viel zu grellen gelben Krawatte und der ausgeleierten braunen Cord-Hose grinste noch breiter. Er schien mich geradezu auszulachen.
Verunsichert und irritiert beschloss ich, mich auf meine Charts zu konzentrieren und begann gegen alle Regeln der Präsentationskunst die Texte eins zu eins abzulesen. Doch je monotoner mein Vortrag wurde, desto mehr spürte ich eine unbändige Wut in mir aufsteigen. „Idiot. Ich könnte ihn umbringen“, durchfuhr es mich, während ich mein Referat herunterleierte. „Bloß nicht auf den Typen achten“, befahl ich mir selbst. Das hatte zur Folge, dass ich ihn nur noch intensiver aus dem Augenwinkel beobachtete. Sein Grinsen hatte sich mittlerweile in eine diabolische Fratze verwandelt. Der Teufel selbst schien anwesend zu sein, nur um meine Präsentation zu ruinieren.
Der Applaus am Ende des Vortrags kann allenfalls als „höflich“ bezeichnet werden. Frustriert suchte ich das Weite.
Reagieren wie ein Automat
Wenige Tage später vertraute ich mich einem Kollegen an, der an dem Meeting teilgenommen hatte und der dank seiner Erfahrung so etwas wie ein Mentor für mich war.
„Der Typ mit der grellen Krawatte, der übrigens begeistert von den Inhalten deines Vortrages war, hat dich getriggert“, lautet sein Kommentar.
„Ge….. was?“
Er erklärte mir, dass hinter jeder starken emotionalen Reaktion auf einen externen Impuls ein innerer Automatismus steckt. Eine Art Programm, das wie auf einem Computer im Hintergrund abläuft.
„Dieses Programm wurde von dir selbst, genauer gesagt von deinem Unterbewusstsein, irgendwann als Reaktion auf Traumata oder Erfahrungen wie Streit, Verluste etc. auf deiner internen Festplatte installiert. Manche Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass diese Art von Programmierung in Teilen in unseren Genen gespeichert ist und folglich von früheren Generationen stammt.“
Ich verstand: Wenn Situationen oder Menschen mich an Vergangenes erinnern, wird das Programm aktiviert. Völlig unbewusst. Als vorprogrammiertes Wesen reagiere ich wie ein Automat.
Die Konsequenzen, soviel war mir in den nächsten Tagen klar, sind immens. Denn wenn ich stinkwütend bin, dann kann ich mir sicher sein, dass mich dieser Impuls an etwas erinnert.
Und wenn ich einmal ein richtig guter Projektleiter werden will, dann muss ich erforschen, welche mentalen und emotionalen Programmierungen in mir wirken.
- Woher kenne ich diese Emotion?
- Wann war das?
- Wer war daran beteiligt?
- Wie habe ich damals gehandelt?
- Welche alternativen Reaktionen stehen mir heute zur Verfügung?
- Und wer oder was kann mich dabei unterstützen, selbstkontrolliert zu reagieren?
Das Geheimnis wahrer Größe
Heute weiß ich: Die Beantwortung solcher Fragen ist der Kern eines permanenten Prozesses. Dabei entsteht Bewusstheit und als Folge eine neue persönliche Freiheit. Denn erst dann, wenn wir unsere Programmierung kennen, sind wir nicht mehr das Programm.
Es ist diese Beschäftigung mit dem eigenen Schatten, die zur Meisterschaft in Sachen Selbstführung führt.
Zu diesem Schatten kann beispielsweise ein Persönlichkeitsanteil gehören, der sich selbst stets ins rechte Licht stellen will, Beifall sucht und unbedingt Recht haben will. Das ist nicht verwerflich, ist nicht schlimm und muss auch nicht weg. Dennoch sollte der moderne Leader diesen Persönlichkeitsanteil kennen, um ihm nicht ausgeliefert zu sein und nicht von ihm fremdgesteuert zu werden.
Führungskräfte, die sich auf diesen Weg der Selbsterforschung einlassen, lernen, ihre Emotionen bewusst wahrzunehmen und die dahinter steckenden Gedanken, Glaubenssätze, Überzeugungen und Wertungen zu identifizieren.
Die nächste Gelegenheit in Form einer starken Emotion kommt bestimmt. Doch wahre Meister in Sachen Selbstführung nehmen jedes Ärgernis dankbar an. Sie wissen:
Gerade Störfaktoren wie persönliche Konflikte sind vortreffliche Gelegenheiten zur persönlichen Weiterentwicklung.
Eine gute Selbstführung sorgt dann dafür, dass man etwa bei Beleidigungen, Beschimpfungen und Beschuldigungen über den Dingen steht. Das ist wahre Größe.
Die besten Führungskräfte haben auch deswegen eine so charismatische Wirkung, weil sie gerade dann, wenn es heiß wird, völlig souverän bleiben.
Die Kuh auch mal am Euter packen
Wie moderne Führungskräfte heute am besten zurechtkommen, habe ich versucht im Buch „Die Kuh auch mal am Euter packen“ zu beschreiben. Es sind genau vier Kompetenzfelder, in denen wir uns bewegen und die wir kennen müssen.
- Fachliche Kompetenz: Damit sind künftig weniger spezielle Branchenkenntnisse oder technische Fähigkeiten gemeint. Es meint vielmehr das Wissen, welches Tool im Werkzeugkasten in der jeweiligen Situation im Führungsalltag genau das richtige ist.
- Soziale Kompetenz: Nur, wer Menschen überzeugen und „mitnehmen“ kann, gewinnt. Leader, die auf diesem Gebiet Experten sind, bieten ihren Unternehmen einen entscheidenden Mehrwert.
- Life Balance: Arbeit, Freizeit, Familie, Freunde, Heim und Natur sind Teil unseres Lebens. Stress- und krankheitsbedingte Ausfälle gilt es zu vermeiden. Reife Leader bringen sich selbst und ihr privates sowie berufliches Umfeld in Balance.
- Spiritualität: Spiritualität im Business beinhaltet das Verständnis von Zusammenhängen, die sich Logik und Mathematik entziehen. Moderne Leader eignen sich dieses Wissen an und nutzen es in ihrem Alltag.
Frei von Verstrickungen
Zugegeben: Es kann ein langer Weg sein, zu lernen, die Emotionen und die dahinterstehenden Gedankenmuster zu kontrollieren. Ich selbst bin auch heute noch gelegentlich verärgert und weise die Schuld für meine Befindlichkeit anderen zu. Vielleicht sollten wir in puncto Selbstführung auch Milde mit uns selbst walten lassen. Denn niemand kann zu einhundert Prozent immun sein gegen emotionale Ausbrüche, die im Kontakt mit anderen zu Irritationen führen.
Hinzu kommt: Selbstführung zu lernen und zu perfektionieren ist nicht einfach und nichts für Weicheier. Es ist in vielen Fällen harte Arbeit an sich selbst und verbunden mit Erkenntnissen, die schmerzhaft sein können.
Aber sobald wir erkennen, dass wir selbst mit unserem Denken, Fühlen und unseren Bewertungen unsere eigene Realität schaffen, hat das gewaltige Konsequenzen:
Wir übernehmen zu einhundert Prozent Verantwortung für unser Leben und eröffnen uns selbst bislang unbekannte Handlungsoptionen.
Als Leader erreichst du damit in puncto Führungssouveränität ein ganz neues Level, das auf der Fähigkeit basiert, weitgehend frei von unbewussten Verstrickungen zu denken und zu fühlen.
Diese Freiheit hat ihren Preis: eine permanente Selbsterforschung – am besten mit Hilfe externer Unterstützer. Sei es dir wert.
Über den Autor
Ronald Hanisch ist einer der gefragtesten Vortragsredner, Managementberater und Autoren rund um die Themen Projektmanagement und Arbeiten in Teams im deutschsprachigen Raum.
Sein Buch „Das Ende des Projektmanagements“ war ein Bestseller und hat sich als Standardwerk in den Chefetagen etabliert. Sehr beliebt ist die „Ich bin dein Guru“ Serie, mit der Kurzfassungen zu Sprüchen und Aussagen.
Im neuesten Buch „Die Kuh auch mal am Euter packen“ nimmt Ronald Hanisch, der Projekt-Doktor, die Leser zusätzlich mit auf eine Reise in höchst private Bereiche seines Lebens. Dabei wird deutlich, wie entscheidend vor allem „Selbstführung“ ist und damit das Bestreben, tagtäglich aufs Neue, auch bei den persönlichen Dingen des Lebens, zur besten Version seiner selbst werden.
Der ehemalige Spitzensportler weiß, dass man nur im Team gewinnen kann. Der „Projekt-Doktor“ kombiniert wissenschaftliche Erkenntnisse aus Psychologie, Philosophie und eigener Managementerfahrung zu nachhaltigem, wirtschaftlichem Erfolg im Einklang mit der individuellen Persönlichkeit.
Mehr zu Ronald Hanisch: www.ronaldhanisch.com
Über den Autor
Experte für berufliche Weiterbildung und Personalentwicklung. Kontaktanfrage gerne auch bei LinkedIn:
Weitere Artikel
Projektarbeit ist Teamarbeit
Im Projektmanagement ist effiziente Teamarbeit der Schlüssel zum Erfolg. Ob Architekt, Designer, Entwickler, Controller oder Visionär, Entscheider und Anführer – der professionelle Projektleiter kann und darf nicht alle Rollen selbst spielen.
Er braucht Unterstützung. Dazu formt er aus Einzelkämpfern das perfekte Projekt-Team.
Kommunikation in Projekten: erfolgreich kommunizieren im Projektteam
Small Talk in der Raucherecke, Diskussionen im Statusmeeting und Präsentationen vor Entscheidern: Kommunikation in alle Himmelsrichtungen ist die wichtigste Aufgabe des Projektleiters.
Wer meint, sein Projekt per E-Mail von seinem Bürotisch aus zu steuern, liegt falsch. Warum Kommunikation in Projekten wichtig ist, beschreibt dieser Artikel.