Es ist Dienstagmorgen irgendwo in einem Büro in Deutschland. Kaffeetassen dampfen auf dem Konferenztisch.
Das Team startet ihr „Good Morning“, so tauften sie ihre tägliche Besprechung. Die Teilnehmer berichten über ihre Arbeit des letzten Tages und geben Auskunft, was sie als nächstes angehen wollen. Sie schildern die Herausforderungen, die sich aufbauen und schätzen ab, ob sie die Probleme selbst lösen können oder Unterstützung benötigen.
Das Team hat den Auftrag, in den kommenden vier Wochen eine Benutzeroberfläche für ein Online Weiterbildungsportal zu entwickeln. Stück für Stück soll der Kunde neue Funktionen erhalten, die er sofort benutzen kann. Derzeit steht die Anmeldefunktion für neue Kunden an erster Stelle. Nach diesem Sprint soll sie fertig sein.
DasBacklog ist randvoll mit weiteren Anforderungen. An zweiter Stelle folgt das Aufgabenpaket „Hardware laut Marketing-Hochlaufkurve skalieren“.
Funktionale und nichtfunktionale Anforderungen sollen in einem separaten Lastenheft spezifiziert werden, so dass der Hardware-Lieferant mit einem Pflichtenheft antworten kann.
Das Team entscheidet, dieses Aufgabenpaket in klassischer Art und Weise zu organisieren und parallel neben den Sprints zu bearbeiten.
Ein Teammitglied übernimmt den Auftrag, in Erfahrung zu bringen, welche Standard Prozesse im Unternehmen zu bedienen wären und welche Kollegen zusätzlich einzubinden sind. Sobald er alle Informationen zusammen hat, soll er seinen Kollegen das weitere Vorgehen skizzieren.
Der klassische Projektmanager steht in der Pflicht, sein Projekt zum Erfolg zu führen. Um dieses Ziel zu erreichen, schärft er den Projektauftrag, schätzt Aufwände, plant Ressourcen und überwacht die Projektarbeit. Er informiert Stakeholder über wichtige Arbeitsstände und motiviert das Team zu Höchstleistungen.
Aus Prozesssicht folgt er dem Ablauf eines Wasserfalls. Das Wasser strömt in eine Richtung, bedingt durch die Formung des Gesteinsuntergrundes, teilweise im freien Fall. Die herabstürzenden Wassermengen suggerieren, dass es sich um ein lineares Vorgehen handelt, welches Rücksprünge nicht zulässt.
Das Projektmanagement übernahm das Wasserfallmodell aus dem Bereich der Softwareentwicklung. Es setzt sich aus den Phasen Anforderung, Entwurf, Implementierung, Überprüfung und Wartung zusammen. Jedoch nutzen Projektmanager dieses Modell in abgewandelter Form, in dem sie Iterationen mit früheren Phasen akzeptieren. Und doch strebt alles in eine Richtung: Zum langfristig geplanten Projektabschluss.
Eine Reihe von Untersuchungen (Erfolgsfaktoren im Projekt und Conditions for Project Success 2021 (PDF), geben Auskunft, welche Faktoren zum Erfolg eines Projektes beitragen.
Unter anderem sind messbare Ziele und Transparenz Garanten für den Projekterfolg. Ein effizientes Anforderungsmanagement spielt dabei eine zentrale Rolle. Wenn sich im klassischen Projektmanagement herausstellt, dass Anforderungen falsch oder gar nicht geplant worden sind, verursachen sie im weiteren Projektablauf nicht kalkulierte Kosten. Je später - nach der Planungsphase - dieser Fehler entdeckt wird, desto teurer wird es für das Projekt.
Befürworter des Wasserfallmodells vertreten die Meinung, dass große komplexe Projekte mit fixierten Anforderungen vom linearen Vorgehen profitieren, denn es bietet Planungssicherheit. Besonders wenn viele Gewerke in die Projektarbeit involviert sind, fühlen sich die Beteiligten sicherer, da Liefergegenstände so realisiert werden, wie sie von Beginn an spezifiziert wurden.
Mit anderen Worten: Traditionelle Projektmanager fixieren Anforderungen bereits in der Planungsphase. Zeit und Geld richten sie nach dem Inhalt aus. Als nachteilig wäre anzuführen, dass Anforderungen nicht in jedem Projekt in der Planungsphase vollumfänglich beschrieben werden können. Hier wären Änderungen zu berücksichtigen, die im späteren Projektablauf zu bewerten wären und unter Berücksichtigung von Seiteneffekten, in das Bestehende einzufügen sind.
Ist dem Projektleiter dieser Umstand bewusst, muss er Reserven für Zeit und Geld schaffen. Doch diese Puffer blähen den Projektplan unnötig auf.
Jedes Jahr wird auf der CES in Las Vegas (Consumer Electronics Show) sehr deutlich: Der Kunde konsumiert neue und hochwertige Produkte in kürzeren Abständen.
Deshalb drängen innovative Angebote schneller auf den Markt. Das hat zur Folge, dass sich die Dauer der Produktentwicklung verkürzt.
Doch nicht nur Sprachassistenten, Infotainment-Systeme oder 3D Drucker sind Gegenstand der Begierde. Auch andere Branchen wie Baugewerbe, Finanzen und Versicherungen, Lebensmittelindustrie, Logistik und Handel kämpfen um die Gunst des Kunden.
Der globale Wettbewerb wirkt sich auf die Arbeit des Projektleiters aus. Sein Projektumfeld agiert dynamischer und der Kontakt zum Kunden gestaltet sich intensiver.
Mit dem unflexiblen Wasserfallmodell, insbesondere dem starren Anforderungsmanagement, kommt er hier nicht weiter. Er muss anpassungsfähig bleiben und Verantwortung abgeben, um mit nach vorn schwingen zu können.
Das agile Projektmanagement, welches sich am Manifest für agile Softwareentwicklung orientiert, trägt diesen Bedürfnissen Rechnung.
Auch hier adaptierten Projektmanager das Verfahrensmodell von den Softwareentwicklern. Der agile Gedanke stellt die Kundenbedürfnisse in den Mittelpunkt. Prominente Arbeitstechniken sind Scrum oder Kanban.
Jedoch ist die Rolle des Projektleiters in der agilen Arbeitswelt nicht vorgesehen. Product Owner, Scrum Master und Team teilen sich die Verantwortung, um das Projekt erfolgreich abzuschließen.
Er vertritt die Interessen der zukünftigen Nutzer und Kunden. Damit ist der Product Owner für die geschäftlichen Aspekte des Projektes verantwortlich. Er handelt aus der Perspektive des Endbenutzers. Unter diesem Gesichtspunkt möchte er dem Kunden in kürzester Zeit ein hochwertiges Produkt bereitstellen. Er definiert den Projektumfang und priorisiert die Entwicklungsarbeit. Dabei wägt er Risiken ab und entwickelt Vermeidungsstrategien.
Er dient dem Team als „Servant Leader“, denn er kennt deren Bedürfnisse. Ihm ist klar, welche Arbeitsmittel sein Team zu welchem Zeitpunkt benötigt. Er kümmert sich um Ressourcen und sorgt dafür, dass die Mitglieder des Teams nicht überlastet sind. Der Scrum Master trägt wesentlich zur guten Zusammenarbeit bei und kommuniziert Informationen insbesondere über Arbeitsergebnisse oder Probleme, die bei der Erreichung des Sprintzieles auftreten können. Er sorgt auch dafür, dass es prozessseitig rund läuft.
Das Team realisiert die vom Product Owner festgelegten Ziele. Es entwickelt die Anforderungen aus dem Product Backlog. Damit steht es im Kern des agilen Projektmanagements. Die Mitglieder entscheiden eigenverantwortlich, welche Person an welchem Thema arbeitet. Das Team agiert auf Augenhöhe mit Product Owner und Scrum Master und ist damit gleichberechtig in der Entscheidungsfindung.
Im Gegensatz zur klassischen Projektarbeit, plant der Product Owner das Projekt nicht von Anfang an in allen Details. Vielmehr fokussieren alle Beteiligten auf einzelne Entwicklungsabschnitte.
Ein Abschnitt, als Sprint bezeichnet, dauert in der Regel zwei bis vier Wochen. Jede Lieferung bietet dem Kunden konkreten Mehrwert, den er sofort nutzen kann. Jede Fertigstellung stellt einen neuen Entwicklungsstand dar, auf dem der nächste Sprint aufbaut.
Dieses permanente Schärfen des Projektinhaltes und das flexible Anpassen an die neuen Erkenntnisse erfolgt in enger Absprache mit dem Kunden. Im Gegensatz zum klassischen Projektmanagement fixiert der Product Owner Zeit und Geld wobei die Anforderungen flexibel bleiben.
Ziel ist es, die Umsetzungsfähigkeit nach jeder Fertigungsstufe neu zu bewerten, und das weitere Vorgehen auf die dann vorliegende Situation anzupassen.
Für die Verfechter des agilen Arbeitens sind die Leitsätze des Agilen Manifests Glaubenssätze:
Zusammenfassend ist zu sagen, dass agiles Projektmanagement umfangreiche Erfahrungen von Product Owner, Scrum Master und Team verlangen. Für Anfänger ist es nur dann geeignet, wenn erfahrene Kollegen sie dabei aktiv unterstützen.
Entwickler in der Automobilindustrie kombinieren Elektroaggregate mit Otto- oder Dieselmotoren, um ihre Fahrzeuge kostengünstig und umweltfreundlich anzutreiben. Ihr Ziel: Vorteile aus beiden Welten nutzen. Sie wollen Rohstoffmangel und Umweltbewusstsein Rechnung tragen.
Auf die Welt des Projektmanagers übertragen, ergibt sich ein Bild, welches das Project Management Institute in seinem Standard "A Guide to the Project Management Body of Knowledge" dem PMBOK Guide, beschreibt:
Mit anderen Worten: Der hybride Projektleiter entscheidet selbst, welche Methodik er für sein Projekt einsetzen will.
Gestaltet sich ein Projektelement als langfristig planbar, ist der traditionelle Ansatz sinnvoll. Muss ein Element flexibel und anpassungsfähig bleiben, wäre die agile Vorgehensweise passender.
Ein Kochrezept, welches dem Projektleiter vorschreibt, was zu tun ist, gibt es nicht und kann es nicht geben. Denn der Projektleiter orientiert sich an den Zielen seines Projektes und an den Rahmenbedingungen des Projektumfeldes.
Grundsätzlich bleibt festzustellen: Die Elemente des Projektes verhalten sich wie Zahnräder in einem Getriebe. Sie greifen ineinander und sorgen dafür, die Motorkraft auf die Straße zu bringen und dem Fahrzeug Geschwindigkeit zu geben. Um Reibungsverluste zu vermeiden, müssen die Zahnräder gut geschmiert sein.
Im Projektmanagement fungiert der Informationsaustausch als Gleitmittel. Die Kommunikation zwischen allen Beteiligten ist die Basis für erfolgreiches Gelingen.
Welche Rolle übernimmt der Projektleiter in der hybriden Arbeitswelt?
Für die klassischen Bereiche, verantwortet er die klassischen Aufgaben. Dazu zählen: initiieren, planen, steuern und überwachen.
Für die agilen Bereiche könnte er den Product Owner oder Scrum Master unterstützen. Doch dazu sollte er deren Aufgaben und Verantwortung kennen. Idealerweise erwirbt er eine Zertifizierung als Agile Certified Practitioner vom PMI oder als Professional Scrum Product Owner (PSPO) von Scrum.org.
Konkreten Mehrwert kann er als Leiter eines Project Management Office (PMO) erwirtschaften, wenn er diese Aufgaben übernimmt:
Das hybride Modell verlangt Anpassungsbereitschaft von allen Akteuren. Sie müssen sich kompromissbereit zeigen, denn die hybride Wahrheit liegt in der Mitte.
Die agile Fraktion unterwirft sich einer frühzeitigen Fixierung des Projektplanes, die traditionellen Anhänger ertragen Unsicherheiten. Es ist pragmatisches Vorgehen zu empfehlen. Die Beteiligten müssen sich lösen von den Prinzipien ihrer Universen, sonst gelingt das Zusammenführen nicht.
In früheren Beiträgen griff ich auf das fiktive Projekt „Onlinebasiertes Weiterbildungsportal für Projektleiter“ zurück. Um dieses Portal zu realisieren, könnten agile Teams das User-Interface entwickeln, während sich klassische Projektarbeiter um die Server und deren späteren Skalierung kümmern.
Zunächst zerlegen sie das Projekt in kleine, handhabbare Einzelteile. Der Projektsstrukturplan, im Englischen Work-Breakdown-Structure (WBS), leistet dabei sehr gute Dienste.
Der Plan der Pläne beinhaltet alle Aufgaben, die zu erledigen sind, um den Liefergegenstand des Projektes zu realisieren. Die daraus entstehende Struktur könnte aus den Überbegriffen Backend (Hardware), User-Interface (Software), Betrieb und Projektmanagement bestehen, um nur einige zu nennen.
Für das Teilprojekt User-Interface kommen agile Arbeitstechniken wie Scrum und Kanban zum Einsatz. Ziel ist, dem Kunden in kurzen Abständen und mit kleinen Lieferungen Mehrwert zu verschaffen. Die Beschaffung der Hardware sowie das Skalieren der Leistungsparameter, gemäß der Prognosewerte aus der Marketingabteilung, organisiert der Projektleiter nach dem Wasserfallmodell.
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